Skythen - Barbaren mit Stil
Aktuelle Ausgrabungen werfen ein neues Licht auf das in der Antike wegen ihrer Grausamkeit gefürchtete Reitervolk der Skythen. Sie skalpierten ihre Opfer und tranken Blut aus den Schädeln getöteter Feinde, selten stellten sie sich dem offenen Kampf, attackierten lieber aus dem Hinterhalt. Ihre Waffen waren neben dem Kurzschwert, Pfeil und Bogen, die sie wie kein anderes Volk zu dieser Zeit vom Rücken ihrer Pferde aus bedienten. Schnell, effizient und tödlich waren ihre Angriffe, sie überrannten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Selbst die Frauen waren furchtlose Krieger bei den Skythen
Die Herren von Eurasien zwischen Oder und Baikal.
Ihr Ruf war nicht unbedingt der Beste, auch wenn in den antiken Berichten über die Skythen immer eine gehörige Portion Respekt, sogar etwas Bewunderung mitschwingt. "Muss nicht ein Volk unüberwindlich und unnahbar sein, das weder Städte noch Burgen baut, seine Häuser mit sich führt, Pfeile vom Pferd herab schießt, nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht lebt und auf Wagen wohnt?" schreibt Herodot, der Vater der Geschichte, in seinem ethnographischen Exkurs zu den Skythen. Waren sie wirklich nur ein Volk von Nomaden, ohne eigene Schrift, ohne Kultur und ohne echtes Staatsgebilde?Multikulti in Sibirien
Ausgrabungen in Tuva, südlich des Altai an der mongolischen Grenze, und in Cica mitten in Sibirien enthüllten kürzlich ein ganz anderes Bild. In Cica fanden die Geophysiker Überreste einer Stadt, die es in ihren Dimensionen durchaus mit zum Beispiel dem mittelalterlichen München aufnehmen kann. Die Datierung weist sie als rund 2500 Jahre alt aus. Damit stammt sie aus der Hochzeit skythischer Macht.
Bedeutet dies das Ende der Mär von den Nomaden, die all ihren Besitz auf dem Rücker zweier Pferde unterbrachten? Probegrabungen bestätigten die Präsenz der Skythen, aber noch etwas anderes. Offenbar existieren in Cica nicht nur skythische Einflüsse. Die Stadt scheint ein multikulturelles Zentrum gewesen zu sein, ein Gemeinschaftsprojekt mehrerer Volksgruppen. Der weiteren Erschließung des Platzes mit Straßen, großen Häusern, Befestigung und einer Art Zitadelle ist oberste Priorität eingeräumt worden.
Sibirisches "Tal der Könige"
Die vielleicht größte archäologische Entdeckung der letzten Jahre gelang Archäologen jedoch in Tuva in der Republik Tuwinien an der Grenze zur Mongolei. Hier fanden sie den noch unberührten Grabkurgan, eine Art Grabhügel also, eines skythischen Herrschers. Anlage und Reichtum des Grabes überraschten selbst die Archäologen, die in den Skythen schon immer mehr sahen, als nur die in antiken Quellen postulierte "wilde Horde".
Der Kurgan ist der letzte einer ganzen Reihe von Grabhügeln in jenem Tal. Anders als bei den meisten anderen lag hier die Grabkammer des Fürsten am Rand und nicht in der Mitte der Konstruktion. Vermutlich entging es deshalb der Aufmerksamkeit der Grabräuber, die in dem Tal ansonsten ganze Arbeit geleistet hatten.
Mindestens sechsundzwanzig Gräber enthält der Kurgan, doch war es ganz besonders eines, was die Mitglieder des deutsch-russische Gemeinschaftsprojekt in höchste Aufregung versetzte. Das Grab des Fürsten entpuppte sich als wahre Schatzkammer, schnell wurde der Vergleich laut mit dem Grab des Tutanchamun und so ganz von der Hand zu weisen ist er nicht.
Von den anderen fünfundzwanzig Gräbern war keines so reich wie das des Fürsten, trotzdem sind die ebenfalls unzerstörten Gräber von unschätzbarem Wert für die Wissenschaft, verraten sie uns doch vieles über Religion und Gesellschaft der Skythen. Über 9000 Goldobjekte wurden entdeckt und wirklich niemand hatte eine solche Pracht, einen derartigen Reichtum im Grab eines Nomadenherrschers erwartet. Die eigentliche Sensation ist trotzdem weniger die Menge, es ist die Qualität der Goldschmiedearbeit.
Meister des Goldes
Die Beispiele skythischer Goldschmiedekunst sind atemberaubend in ihrer Kunstfertigkeit und Liebe zum Detail. Um den Hals trug zum Beispiel der Herrscher einen zwei Kilogramm schweren scheinbar ziselierten Halsreifen aus massivem Gold. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass diese Ziselierung aus winzigen ineinander verschränkten Tieren besteht.
Die Gewänder des Paares sind reich verziert, Hirsche, Panther, Eber, goldene Pfeile in goldenen Köchern, tausende Goldperlen, sogar die Schuhbänder sind reich geschmückt. Die Fürstin trug am Gürtel zusätzlich noch einen goldenen Kelch. Die Pracht der Grabausstattung ist einmalig.
Die Restauration der insgesamt schon über 9000 Einzelteile ist mühsame Kleinarbeit und nimmt Jahre in Anspruch. Experten vom Ermitage Museum in St. Petersburg, wo der Schatz auch aufbewahrt wird, haben bisher hervorragende Arbeit geleistet. Große Teile des Fundes erstrahlen schon wieder in altem Glanz.
Also doch keine wilden Horden?
Es sind widersprüchliche Bilder, die sich vor uns auftun. Offenbar hat Herodot nicht die ganze Wahrheit über die Skythen erzählt. Es steckt mehr dahinter, als sich auf den ersten Blick offenbart. Die Vorstellung von den wilden Reiterhorden, die einfach nur mit ihrem Vieh durch die Steppe zogen und sich gelegentlich Scharmützel lieferten, ist sicher falsch. Wir wissen, dass es unter den Skythen verschiedene Fraktionen gab und ganz offenbar auch eine Art Staatsgebilde.
Die dominante Rolle spielten die sogenannten königlichen Skythen, andere Fraktionen widmeten sich eher der Viehzucht oder dem Landbau. Auch in ihrem Siedlungsgebiet am Schwarzen Meer wurden Spuren fester Siedlungen gefunden. Schon in den fünfziger Jahren wurden skythische Bergwerke entdeckt.
Vielleicht war Tuva, an der Grenze zur Mongolei die Urheimat der Skythen und sie zogen erst später ans Schwarze Meer, wo sie in Kontakt mit den Persern und Griechen kamen. Es ist sehr schwierig, mehr über die Geschichte eines Volkes zu lernen, dass nur wenig feste Strukturen hinterließ und keine Schrift kannte.
Wenn der Fund eines beweist, dann dass die Legenden über den Reichtum der Skythen, ihre golddurchwirkten Gewänder nicht übertrieben sind. Auch der mit den Skythen in Zusammenhang gebrachte Mythos über den Kampf mit den Greifen, die das Goldland bewacht, scheint einen Hintergrund zu haben, scheint entlehnt aus der Sagenwelt derselben, findet sich doch ein goldenen Greif als Grabbeigabe für den Herrscher.
Hinweis: Dieser Artikel entstand ursprünglich für Freenet, ist dort aber nicht mehr auffindbar. Auf Wunsch veröffentliche ich ihn daher noch einmal. Das originale Publikationsdatum weiß ich leider nicht mehr.
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