Die Chinesische Mauer
Die Chinesische Mauer ist ein würdiger Kandidat für den Titel "Neues Weltwunder" und so hat es wohl niemanden überrascht, dass es die Mauer am Ende in die Top 7 geschafft hat. Gebaut als Schutzwall gegen die Horden aus dem Norden, ist sie eines der prominentesten Beispiele für den Satz: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
Letzten Surveys zufolge ist das Gesamtkunstwerk Chinesische Mauer satte 8851.8 Kilometer lang. Über 6000 Kilometer davon sind Mauer, der Rest sind Schutzgräben und natürliche Schutzwälle. Diese Zahlen sind so unglaublich, so mächtig gewaltig, dass die Mauer wirklich über jeden Zweifel erhaben ist, wenn es darum geht, Wunderwerke von Menschenhand zu ehren. Die Mauer mag ein spektakulärer Fehlschlag gewesen sein, das bedeutet aber nicht, dass sie kein würdiges Weltwunder wäre.
Die Ursprünge der Chinesischen Mauer reichen bis ins fünfte vorchristliche Jahrhundert zurück; in die Zeit der Streitenden Reiche (475 v. Chr. und 221 v. Chr.). In dieser Phase ging es weniger darum, sich vor den Mongolen zu schützen, man hatte mit sich selbst zu tun. Selbst einfachste Befestigungen boten einen gewissen Schutz vor einfallenden Armeen und so überrascht es nicht, dass das Land am Ende praktisch von Mauern durchzogen war. 250 Jahre Dauerstreit sind eine lange Zeit zum Üben, auch wenn die meisten dieser Mauern aus Lehm und Stroh bestanden.
Unter der Qin-Dynastie fand der Streit endlich ein Ende. Im Jahre 221 vor Christus wurde das Reich geeinigt. Die Qin selbst hielten sich zwar nicht lange an der Macht, schufen aber die Grundlage für die äußerst erfolgreiche Han Dynastie (ab 206 vor Christus).
Der neue Herrscher (Qin Shi Huang um genau zu sein) ordnete die Zerstörung aller Mauern an, die das Reich spalteten. Die Mauern nach Norden, sollten dagegen ausgebaut werden. Streng genommen war das also der Auftakt zum Bau des "Schutzwalles gegen die Reitervölker aus dem Norden".
Great Wall of China near Jinshanling (Author: Jakub Halun)
Das chinesische Reich hatte sich im Laufe der Jahre auch über den Gelben Fluss hinaus ausgebreitet und zwar auf Kosten seiner Nachbarn; welchen das natürlich missfiel. Es handelte sich dabei um die Xiongnu, einer Gruppe von Reiternomaden und die waren veritable Opponenten. Tatsächlichen gelten die Xiongnu als das erste Steppenimperium, waren im weiteren Sinne also Vorläufer des späteren Mongolenreich. Mit der Ausbreitung nach Norden hatten sich die Chinesen mächtige Feinde gemacht und vermutlich wussten sie das auch. Der Ausbau der Mauern an der nördlichen Grenze war also keine reine Beschäftigungstherapie.
Wie begründet die Vorsichtsmaßnahmen war, zeigte sich dann auch bald. Der Konflikt mit den Nachbarn wurde ein kostspieliger und vor allem langwieriger. Gegen die schnellen Attacken der äußerst agilen Verbände der Xiongnu war kaum ein Kraut gewachsen und da halfen auch die Mauern nicht viel. Das ging soweit, dass die Han Chinesen regelmäßige Tribute an die Xiongnu zahlen mussten. Es war schlicht billiger, als Krieg zu führen.
Zeitweise basierte der Staatshaushalt der Xiongnu, wenn man von so etwas in diesem Zusammenhang überhaupt sprechen kann, auf den regelmäßigen Zahlungen aus China. Das beweist nicht nur, wie schlagkräftig diese Reiternomaden waren, sondern auch wie wenig ein Schutzwall in Form einer Mauer half, zumindest wenn er lückenhaft war.
Ein ernsthafter Durchbruch in dem Konflikt kam (für die Chinesen) tatsächlich erst nach 132 vor Christus. Der Konflikt nahm recht plötzlich an Intensität zu, ab 129 vor Christus wuchs er sich zum echten Krieg aus. Das hatte einen Grund.
Die Chinesen hatten sich die Taktik der Gegner angesehen und nach einem probaten Mittel geforscht. Die Antwort war überraschend einfach: Man kopierte den Gegner. Die Chinesen verbrachten buchstäblich Jahrzehnte mit der
Aufzucht von Pferden. Geduld kann man ihnen nicht absprechen. Diese Tugend sollte sich auch im Zusammenhang mit der Großen Mauer als nützlich erweisen.
Die Chinesen setzen sich am Ende also durch, die Opferzahlen sollen allerdings gewaltig gewesen sein. Die Spur der unterlegenen Xiongnu verliert sich allerdings erst im 5. nachchristlichen Jahrhundert.
Da es hier in erster Linie um die Chinesische Mauer gehen soll, kommen wir noch einmal auf das Thema Befestigungsanlagen zurück.
Während des Konfliktes mit den Xiongnu versuchten die Chinesen, einen möglichst lückenlosen Schutzwall nach Norden zu bauen. Schnell stellte sich dabei heraus, dass es schlicht unmöglich war, die benötigten Baumaterialien über großen Distanzen heranzuschaffen. Man verlegte sich also auf lokal verfügbare Materialien.
In den Bergen wurde Fels verwendet, in den weiten Ebenen wurden gestampfte Erde oder Lehm verwendet. Der genaue Verlauf und die Ausdehnung dieser ersten Mauer sind nicht überliefert, die Tradition des Mauerbaus war aber geschaffen. In den folgenden Jahrhunderten wurden Teile der Mauer beständig repariert, erweitert und ausgebaut, ohne dass daraus ein neues Großprojekt wurde.
Ein Revival erlebt der Mauerbau erst in der Ming Dynastie (1368 - 1644) und natürlich gab es einen konkreten Anlass. Im Jahre 1449 kam es zur Schlacht von Tumu, auch bekannt unter dem Namen Tumukrise oder Debakel von Tumu. Die Ming-Chinesen erlebten hier die katastrophalste Niederlage Ihrer Geschichte. Da sie im Zusammenhang mit der Chinesischen Mauer von Bedeutung ist, wollen wir das Ereignis kurz beleuchten.
Der Tumu-Zwischenfall
Der Führer der oiratischen Mongolen Esen Tayishi startete im Juli des Jahres eine groß angelegte Kampagne gegen den südlichen Nachbarn. Auf dem Thron der Ming saß zu diesem Zeitpunkt der noch junge und unerfahrene Kaiser Zhengtong. Sein oberster Beamter, der Eunuch Wang Zhen, ermutigte den Herrscher, ein Heer gegen die rebellischen Mongolen zu senden und es auch gleich selbst anzuführen.
Bei Yanghe (innerhalb der chinesischen Mauer) kam es am 3. August zu einer ersten Schlacht und das chinesische Aufgebot wurde vollständig vernichtet. Zhengtong setzte sein Heer in Marsch in Richtung der Passfestung Juyongguan. Am 16. August erreichte sie den Schauplatz der ersten Schlacht. Er war mit Leichen übersät. Zwei Tage später erreichte man Datong, wo eine Beratung der Generäle ergab, dass ein Weitermarsch in die Steppe zu gefährlich sei. Man wertete die Kampagne einfach als vollen Erfolg und beschloss, sich auf den Rückweg zu machen.
Mehrere Routen standen zur Auswahl. Auf Anraten des Eunuchen Wang Zhen wählte man nicht wie ursprünglich geplant die südliche Route (die ganz zufällig an seinen Ländereien entlangführte) sondern hielt sich nördlich. Das erwies sich als fatal.
Am 30. August wurde die Nachhut der Chinesen von den Mongolen gestellt und vernichtet. Eine zweite, neu aufgestellte und recht stark besetzte Nachhut ereilte dasselbe Schicksal.
Am darauffolgenden Tag war das Hauptheer der Chinesen von den Mongolen praktisch umzingelt. Der oberste Beamte befahl dem Heer, sich in Marsch zu setzen in Richtung des nahegelegenen Flusses. Esen Tayishi hatte allerdings eine Vorhut entsandt, um genau das zu verhindern.
Was nun passierte, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Die Vorhut der oiratischen Mongolen schlug das Heer der Chinesen vernichtend. Kaiser Zhengtong wurde gefangen genommen und zu Esen gebracht, der an der Schlacht selber gar nicht teilgenommen hatte. Er hatte keine Gelegenheit. Die Verbände der Chinesen hatten sich mit einer Geschwindigkeit aufgelöst, dass für das eigentliche mongolische Heer, keine Gelegenheit mehr blieb.
Der Sieg kam so überraschend, dass die Mongolen es sogar versäumten, daraus einen Vorteil zu schlagen. Schließlich war die Hauptstadt Peking völlig entblößt. Das Ganze bleibt rätselhaft. Als Hauptschuldiger wurde übrigens (nicht ganz zu Unrecht) der Eunuch Wang Zhen ausgemacht. Mit einer ganzen Reihe von Fehlentscheidung hatte er das Debakel zu verantworten. Angeblich wurde er von seinen eigenen Offizieren ermordet.
Zwar unternahmen die oiratischen Mongolen in der Folge keine ernsthaften Angriffe gegen das chinesische Mutterland mehr, das bedeutete aber nicht, dass die Nordgrenze des Reiches sicher gewesen wäre. Die Ming bekamen die mandschurischen und mongolischen auch in der Folge nicht unter Kontrolle, sie änderten also ihre Strategie. Das Resultat war die Große Mauer, wie wir sie heute kennen. Statt sich auf zermürbende Scharmützel einzulassen, überließ man den Mongolen das Ordos-Plateau und begann südlich davon, eine massive Mauer zu bauen.
The Great Wall of China, near Beijing in July 2006. This is a section of Mutianyu. (Author: Nicolas M. Perrault)
In den Jahren zwischen 1440 und 1460 wurde eine zweite Mauer gebaut. In mancher Hinsicht war sie eine Erweiterung der Großen Mauer, allerdings war sie weniger aufwändig konstruiert. Sie umschloss das fruchtbare Ackerland der Liaodong Halbinsel im Nordosten des Reiches und sollte es vor Übergriffen der benachbarten Stämme (Jurchen) im Norden schützen.
Während fast der gesamten Ming-Dynastie schien das Konzept der Großen Mauer aufzugehen. Erst im Jahre 1644 gelang es einer Armee der Mandschu, die Mauer bei Shanhaiguan zu überwinden. Begünstigt wurde das Unternehmen durch Unruhen im Reich und Verrat. Die Mauer wurde nicht so sehr überwunden als vielmehr durchschritten. General Wu Sangui hatte den Mandschu ganz schlicht und ergreifend das Tor geöffnet.
Der Hintergrund war, dass die nach dem Zusammenbruch der Ming gerade erst angetretene Shun Dynastie dem General missfiel. Der neue Herrscher Li Zicheng hatte zwar die Ming gestürzt, die Probleme im Land konnte er allerdings auch nicht lösen und Wu Sangui, den letzten verbleibenden General der nördlichen Armee zu verärgern, war dann auch schon sein letzter Fehler.
Die Mandschu machten kurzen Prozess und überrannten Peking. Sie etablierten
die Qing-Dynastie. Die versprengten Familienmitglieder der Ming versuchten in den folgenden Jahren zwar, ein paar Gegenkaiser aufzustellen, der Erfolg war aber eher bescheiden.
Unter den Quin dehnte sich China kräftig nach Norden aus. Die Mongolen wurden dem Reich einverleibt. Die Große Mauer hatte ihre Daseinsberechtigung verloren und wurde in der Folge vernachlässigt. Weite Teile der Mauer verfielen und sind heute kaum mehr auszumachen. Vielerorts wurde sie als Steinbruch für den Häuserbau genutzt, von den Elementen beschädigt oder von Sand begraben.
Nahe Peking wurde die Mauer inzwischen umfangreich restauriert und ist heute eine der globalen Touristenattraktionen. Obwohl schon seit 1987 gelistet als Teil des
UNESCO Kulturerbes, ist die Große Mauer erst seit 2006 geschützt. Seitdem beschäftigt sich die chinesische Kulturbehörde umfangreich mit Vermessung und Erhaltung des Wunderwerks.
Von der einstmals fast 9000 Kilometer langen Mauer sind allerdings nur noch knapp über 500 Kilometer in einem halbwegs guten Zustand. Das ist natürlich immer noch eine Menge und um sich von der Gewalt dieses Bauwerks beeindrucken zu lassen genug.
Es ist ein imposantes Bauwerk. Der Blick entlang der Mauer, wie sie sich über Berge und durch Täler zieht, ist etwas, was man mit sich trägt für den Rest des Lebens.