Der
Alte Berg
Nach so viel Geschichte und Spekulation ist es Zeit, zum eigentlichen
Helden der Veranstaltung zurück zu kehren. Machu Picchu, der
Alte Berg.
Allem Anschein nach gelang es den Spaniern zu keinem Zeitpunkt ihrer
Besatzung, Machu Picchu ausfindig zu machen. Es scheint fast so,
als hätten sie auch keine Kenntnis von dem Ort gehabt. Das
könnte zwei Gründe gehabt haben. Entweder war das Wissen
um den Ort schon bei ihrer Ankunft verloren oder Machu Picchu war
von jeher einen ganz spezielles Plätzchen, eine geheime Stätte
der Begegnung und des Ritus. Auf letztere Möglichkeit würde
ich mein Geld wetten.
Die
vielen architektonisch herausragenden Tempel sind ein Indiz, dass
es sich um einen ganz besonderen Ort gehandelt hat. Sie sind zugleich
stärkstes Indiz dafür, dass die Spanier den Ort nie betraten.
Überall sonst wurden die Tempel zerstört. Eventuell entging
der Ort der Entdeckung, weil nur herausragende Personen, ein kleiner
Kreis sozusagen, überhaupt davon wussten.
Da
Verrat offenbar gang und gebe war, müsste es schon als ein
kleines Wunder erscheinen, wenn ausgerechnet ein so exponierter
Ort, der Aufmerksamkeit der Besatzer entging. Es bleibt eine Vermutung,
aber es macht wohl Sinn, dass es in der breiten Masse des Volkes
kein Wissen um Machu Picchu gab.

Worum genau es sich bei der "Bergfeste" handelt, ist nicht
vollständig geklärt. Ins Auge sticht die strategisch günstige
Lage, allerdings ist man in Anbetracht der Fundsituation und Anlage
des Ganzen geneigt, es eher als religiöses Zentrum zu betrachten.
Die peruanischen Archäologen gehen davon aus, dass es sich
zwar um eine regionales aber doch von Cusco abhängiges Zentrum
gehandelt hat. Vorstellbar wäre eine Art "hoher Tempel".
Erbauen ließ die Anlage nach relativ einhelliger Überzeugung
der Inka Pachakuteq. Er gilt als der wohl größte Staatsmann
in der Geschichte der Tawantinsuyo (Inka). Pachakuteq regierte zwischen
1438 und 1471 und in dieser Zeit scheint auch Machu Picchu erbaut
worden zu sein. Sowohl Radiokarbondatierung als auch stilistische
Analysen und Architekturtypus deuten dies an. Die Epoche wird auch
als Imperial Inka bezeichnet.
Während
der Blütezeit haben vermutlich um die 1000 Menschen in der
Anlage gelebt. Wenn die dort gefundenen Mumien einigermaßen
repräsentativ sind, müssen um die 80 Prozent Frauen auf
Machu Picchu gelebt haben. Letzte Gewissheit werden wir nicht erlangen,
aber es gibt ausreichend starke Indizien, die auf ein sogenanntes
Aqllawasi hindeuten, ein Haus der erwählten Frauen.
Das
muss man wohl kurz erläutern. Die schönsten und tugendhaftesten
Frauen des Volkes wurden zu Ehefrauen der Sonne erkoren. Es war
eine hohe Ehre. Und nicht nur das, allenthalben wird auch vermutet,
dass alle oder wenigstens die meisten von ihnen zugleich auch Ehefrauen
des Inka waren. Es würde Sinn machen. Der Inka war vom Titel
her der Sohn der Sonne, man könnte sagen die Epiphanie derselben
auf Erden.
In
der Vorstellung der Tawantinsuyo war er ein lebender Gott und es
ist durchaus überliefert, dass es für einen Inka normal
war, mehrere hundert Ehefrauen und Kinder zu haben. Sein Hauptfrau
allerdings, die Mutter des nächsten Inka, musste seine Schwester
sein. Nur so wurde das Blut reingehalten, dass ihn zum Auserwählten
machte, ihn erhob über das gemeine Volk.
Der Niedergang
Warum die Stadt schließlich aufgegeben wurde, ist bisher nicht
zufriedenstellend geklärt worden. Eine mögliche Antwort
wäre, dass der Ort sehr eng mit dem Herrscher verbunden war
und deshalb nach seinem Tod aufgegeben wurde. Der Aufwand mag beträchtlich
sein, doch es ist durchaus vorstellbar, dass der Ort verlassen werden
musste, auf das er für ewig Pachakuteq gehören würde.
Es
gibt natürlich auch etwas pragmatischer Vorschläge. Demnach
hing die Aufgabe von Machu Picchu mit sich ändernden Umwelteinflüssen
zusammen. Vorstellbar wäre, dass eine Epidemie ausbrach oder
etwas vergleichbares. Aus der Gegend sind wiederkehrende Ausbrüche
zum Beispiel von Malaria kolportiert. Im Allgemeinen gibt es auf
dem Machu Picchu keine Insekten, eine plötzliche Invasion von
Moskitos könnte die Bewohner vertrieben haben. Ob das ein mögliches
Szenario sein kann, hängt sicherlich damit zusammen, ob Moskitos
in immerhin 2360 Höhe vordringen können. Das kann ich
nicht beurteilen.
Auch eine dritte Theorie gibt sich eher pragmatisch. Sie vermutet,
dass die Siedlung überfallen wurde. Ein denkbarer Kandidat
wären die Antis, ein kriegerischer Stamm aus dem Amazonasgebiet.
Sie waren so etwas wie der Erzfeind der Tawantinsuyo (Inka). Vielleicht
entdeckten Sie die Stadt zufällig, überfielen sie und
richteten ein Massaker an. Archäologisch fassbar ist ein solcher
Überfall nicht wirklich, allerdings kann man das Szenario auch
nicht ausschließen.
Wie
genau es vor sich ging, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben,
fest steht, dass der Ort verlassen wurde und dem Vergessen anheim
fiel. Machu Picchu wurde zu einer "Lost City". Unberührt
von Menschenhand für Jahrhunderte, entschwand es ins Reich
der Mythen. Eigentlich noch nicht einmal das. Da niemand Kenntnis
hatte von dem Ort, verschwand er einfach völlig aus dem Bewusstsein
der Menschen.
Das
blieb so bis ins 20. Jahrhundert und dem Besuch Binghams. Nun ist
es mit der Ruhe freilich vorbei. Für Hunderttausende ist ein
Besuch in der verlorenen Stadt ein Lebenstraum. Als Teil des
Unesco
Weltkulturerbes genießt die Stätte heute einen gewissen
Schutz. Bleibt zu hoffen, dass die peruanischen Behörden auch
wirklich alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, dieses Wunderwerk
von Menschenhand zu erhalten.
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Untergang der Inka
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