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Alter Streit in der Neuen Welt
Vor rund 500 Jahren betrat der weiße Mann den amerikanischen Kontinent, davor beherrschten Indianer das Land. Diese Tatsache ist im Großen und Ganzen anerkannt und wird durch Diskussionen, ob nicht vielleicht die Wikinger als erste dagewesen seien, nicht weiter erschüttert. Für Archäologen bedeutet es vor allem Eines: Alles was älter als 500 Jahre datiert wird, ist automatisch indianisch.
Den amerikanischen Ureinwohnern ist die letzte Ruhestätte ihrer Vorfahren in aller Regel heilig und es macht für sie keinen Unterschied, ob ein Grab nun 500 oder 10.000 Jahre alt ist. Vor Gericht setzen sich die einflussreichen Indianerverbände meist durch, niemand legt sich gern mit ihnen an und die Wissenschaft hat meist das Nachsehen.
Während dies den "gemeinen" Archäologen verhältnismäßig wenig erschüttert, findet sich für ihn in den älteren Schichten ohnehin wenig spannendes, ist die Situation für Paläontologen der nackte Albtraum. Regelmäßig müssen sie ihre "Studienobjekte" zurückgeben und meist bevor sie die Knochen und Artefakte untersucht und vernünftig datieren haben - keine leichte Arbeitsumgebung und wohl einer der Gründe, warum sich die Suche nach dem Ur-Amerikaner so langwierig gestaltet.
Grabschänder in Texas
In einem aktuellen Fall in Victoria haben sich zur Abwechslung einmal die Anthropologen durchgesetzt. Der Friedhof Buckeye Knoll, südlich von Victoria, gilt als einer der ältesten des ganzen Kontinents. Der Friedhof wurde schon 1960 entdeckt, erst im Jahre 2000 begann jedoch die wissenschaftliche Untersuchung des Geländes. Das hat einen einfachen Grund: Das Land auf dem der Friedhof liegt, gehört der DuPont Textiles and Interiors Group und die sah lange Zeit keine Veranlassung irgendetwas deswegen zu unternehmen.
Erst im Zuge einer geplanten Kanalerweiterung kam es zur wissenschaftlichen Untersuchung der Stätte. Mit der Entdeckung von bis zu 10.000 Jahre alten menschlichen Überresten traten auch die ersten Indianerverbände auf den Plan und versuchten einen Stop der Arbeiten zu erwirken. Im Verständnis der Verbände störten die Wissenschaftler die letzte Ruhe "ihrer Vorfahren".
Es folgten 18 Monate Gespräche zwischen allen beteiligten Parteien und in gewissem Sinne einigte man sich auf den Standpunkt der Interessenvertreter der Indianer. Der Richterspruch (Es wird keine weiteren Untersuchungen auf dem Gelände geben) kam wenig überraschend und entspricht amerikanischen Recht (National Historic Preservation Act), aber - und das ist eine eher ungewöhnliche Entscheidung - die wissenschaftliche Untersuchung der schon geborgenen Knochen darf weitergeführt werden.
Damit schloss sich die Regierung dem Standpunkt der Paläoanthropologen an, die dem Fundplatz eine besondere Bedeutung zuweisen. Der Schiedsspruch versucht die verschiedenen Interessen angemessen zu berücksichtigen, legte dementsprechend den Wissenschaftlern auch ans Herz, schonende Untersuchungsmethoden anzuwenden. Nach Abschluss der Untersuchungen müssen alle Knochen und Artefakte wieder bestattet werden.
Was unter dem Begriff "schonende Untersuchungsmethoden" zu verstehen ist, sorgte allerdings gleich wieder für Streit. Die Wissenschaftler bestehen darauf, dass sie kleine Proben unter anderem zur DNA-Analyse brauchen. Das sieht die Gegenseite natürlich ganz anders, doch wurde auch hier ein Kompromiss gefunden: Zur Analyse wird nur etwa ein Gramm Material benötigt. Die Laboruntersuchung wird auf das absolute Minimum beschränkt, es wird nur die für eine auch statistisch gültige Untersuchung notwendige Mindestzahl an Proben genommen.
Wirklich zufrieden sind die Vertreter der indianischen Seite mit dem Kompromiss nicht. Nach ihrem Verständnis sind die Paläoanthropologen Grabräuber, die die heilige letzte Ruhe von 79 ihrer Vorfahren gestört haben. Der Mediator sei allerdings so eingeschüchtert worden von all den archäologischen Gesellschaften, dass er sich nicht mal mehr vor den einflussreichen Indianerverbänden fürchtete. In neuen von zehn Fällen ist die Sache anders herum, vom Standpunkt der Wissenschaft aus ist es also ein Happy End.
Rückschlag für Clovis - Anhänger
Die Clovis-Theorie kurz umrissen besagt: Vor rund 11.500 betraten aus Ostasien kommende Jäger und Sammler erstmals den amerikanischen Kontinent. Sie gelangten trockenen Fußes über eine durch den niedrigen Wasserstand während der letzten Eiszeit entstandene Landbrücke, dort wo sich heute die Beringstraße befindet. Die Theorie ist in Fachkreisen alles andere als unumstritten aber trotzdem so eine Art Institution, an der kaum zu rütteln ist.
Funde, die der Theorie widersprechen, wurden bis dato entweder ignoriert oder diskreditiert, allerdings kommen jüngst gleich aus mehreren Richtungen ziemlich eindeutige Hinweise, dass es der Weisheit letzter Schluss wohl noch nicht ist, was da seit Jahren in unseren Schulbüchern gelehrt wird.
Wenn wir eines sicher über die Besiedlung Amerikas wissen, dann dass sie relativ spät erfolgte. Der gängigsten Theorie zufolge wanderten die ersten Amerikaner in einem Zeitraum von vor 30.000 bis 11.000 Jahren ein. Diese Einwanderung geschah wohl in mehreren Wellen. Wer genau von wo aus einwanderte, ist dabei höchst umstritten.
Enttäuschung in Kamtschatka
Bisher galt die Ushki - Siedlung am gleichnamigen See im Nordosten Russlands als aussichtsreicher Kandidat. Eine aktuelle Datierung stellte nun aber fest, dass die Siedlungsspuren um besagten See 4000 Jahre jünger sind als gedacht. Die aktuelle Datierung (13.000 Jahre) lässt die Theorie, die Besiedlung Amerikas sei von hier ausgegangen, als mehr und mehr unwahrscheinlich erscheinen.
Das ist besonders bitter für Clovianer, weil dies der letzte aussichtsreiche Kandidat in Sibirien war. Die Suche geht also ganz von vorn los. Entsprechend erhalten die Aufschub, die von Anfang nicht an die Notwendigkeit der Landbrücke geglaubt haben. Sie schlagen vielmehr vor, dass die ersten Siedler per Boot kamen und man möglicher in der völlig falschen Richtung sucht. Zumindest einige Indizien deuten darauf hin, dass unter den ersten Einwanderern auch Europäer gewesen sein könnten.
Ein weiterer Ausgangspunkt könnte theoretisch auch Japan sein. Man stelle sich vor, Fischer entdeckten Amerika auf der Suche nach neuen Fanggründen. Da der Meeresspiegel erheblich niedriger war, hätten sie an der Eisgrenze oder der Landbrücke entlang fahren können. Einige Wissenschaftler meinen sogar, dass sie den Ozean einfach überquert haben. Inwieweit die eiszeitlichen Vehikel hochseetüchtig waren, dürfte da aber wohl noch zu klären sein.
Multi Kulti in den Amerikas
Besonders die angeblich schnelle Ausbreitung auf dem Kontinent und die kulturelle Diversität hat die Protagonisten der Clovis Theorie immer wieder in Erklärungsnot gebracht. Schließlich halten sich die Gemeinsamkeiten nordamerikanischer Indianer mit ihren südamerikanischen Pendants in zum Teil sehr engen Grenzen. Nicht einmal sprachlich stehen sie sich besonders nahe. Wie ist das möglich in nur 13.000 Jahren?
Gar nicht - sagen Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen unter anderem Linguisten. Dieser Meinung schlossen sich nun auch Molekularbiologen an. Sie untersuchten das Y-Chromosom von 438 Individuen 24 verschiedener Stämmen. Dieses Chromosom wird immer nur vom Vater an den Sohn weitergegeben und unterliegt nicht wie andere der sogenannten Rekombination. Damit ist es für die Stammbaumrekonstruktion ideal geeignet und einziges Pendant zu den Erbgutinformationen der über die weibliche Linie weitergegebenen Mitochondrien.
Der Befund zeigt klare Unterschiede zwischen Nord- und Südamerika, der nur durch einen unterschiedlichen Demografischen Hintergrund der Beteiligten zu erklären ist. Es wird vermutet, dass es mindestens zwei große Einwanderungswellen gab, wobei die zweite sich auf Nordamerika beschränkte. Die Entwicklung in Südamerika muss zumindest in einigen Teilen autark vonstatten gegangen sein. Das ist ein Indiz, dass sich die Stammesbildung schon sehr früh vollzogen hat.
Die Gen-Uhr
Nach Auffassung von Vertretern der Harvard Medical School in Cambridge lässt sich anhand der Y-Chromosomen auch datieren, wann die ersten Einwanderer nach Amerika kamen. Anhand des Vergleichs mit eurasischen Populationen kamen sie darauf, dass eine bestimmte Mutation auf diesem Chromosom just zu dem Zeitpunkt auftrat, als die ersten Jäger und Sammler den amerikanischen Kontinent erreichten.
Die Datierung dieser Mutation ist eine heikle Angelegenheit. Man muss dazu voraussetzen, dass die Mutationsrate zu allen Zeiten gleich war. Diese Annahme ist aber gewagt und noch nicht einmal für Mitochondrien-DNA gesichert, mit der man ja schon wesentlich länger arbeitet.
So wie uns die Meldung aus Harvard erreichte, erklärt sie außerdem nicht zufriedenstellend, woran genau festgestellt wurde, dass die Mutation genau während der Einwanderung stattfand. Anhand des Vergleichs zeitgenössischer Proben mit eurasischen Mustern lässt sich zunächst einmal nur ein terminus ante quem bestimmen, also ab wann sie mindestens dort waren. Für einen terminus post quem, also eine untere Zeitgrenze, müsste glaubhaft gezeigt werden, dass bei zeitlich nahestehenden nichtamerikanischen Vorfahren diese Mutation fehlte. Dazu müsste man allerdings erstmal herausbekommen, woher die ersten Einwanderer kamen.
Die Datierung der "Gen-Uhr" mit 18.000 Jahren passt also ganz gut zu den bisherigen Theorien, ist an sich aber nicht sehr aussagekräftig. Die Fehlertoleranz der Datierung wird von einigen Forscher mit etlichen Millenien angegeben, reicht in diesem Fall von 8900 bis 37.400 Jahren. Das Bahnbrechende der Idee aus Cambridge will sich angesichts dessen nicht so recht erschließen, das könnte sich in Zukunft aber noch ändern.
Alles in allem nichts wirklich Neues aus den Amerikas. Der Disput geht weiter, auch wenn die "Konservativen" Boden verloren haben, sind wir von einer Lösung des Rätsels um den ersten Amerikaner in gewisser Weise weiter entfernt als je zuvor.
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