Der wahre Indiana Jones

Für den Peitsche schwingenden Archäologen Indiana Jones, von dem mittlerweile wohl schon ein fünfter Teil angedroht ist, gab es tatsächlich eine historische Vorlage.

Das meiste in den Indiana Jones Filmen ist frei erfunden, aber durchaus nicht alles. Zumindest in den ersten drei Teilen finden sich immer wieder Körnchen von Wahrheit und sie werden mit bemerkenswerter Liebe zum Detail in Szene gesetzt. Pech für den Meister, dass kurz vor Vollendung des vierten Teils, bei dem es um die berühmten Kristallschädel geht, eben diese als Fälschung entlarvt wurden. Immerhin gab es für den Peitsche schwingenden Schatzsucher selbst eine historische Vorlage; Hiram Bingham den Entdecker von Machu Picchu.


Es war im Jahr 1977, da saßen die beiden Regielegenden Steven Spielberg und George Lucas zusammen, um einen neuen Typ von Filmheld zu entwerfen. Ein Frauenschwarm musste er sein, cool, intelligent und natürlich jemand, der Sachen selbst in die Hand nimmt. Das Resultat war Colonel Henry Walton Jones Jr., besser bekannt als Indiana Jones; promovierter Archäologe und ganz nebenbei Beschaffer seltener Artfeakte, um das Wort Grabräuber einmal zu vermeiden.

Spielberg und Lucas ließen sich bei der Gestaltung des Charakters von den unterschiedlichsten Einflüssen inspirieren, die Figur des Abenteurers mit archäologischen Ambitionen geht jedoch auf eine ganz bestimmte historische Figur zurück: den amerikanischen Entdecker Hiram Bingham. Als Archäologen kann man ihn beim besten Willen nicht bezeichnen, Abenteurer und Schatzsucher treffen es da schon eher.

Der Mann war praktisch die perfekte Filmvorlage. Zu einer Zeit, als Amerika noch abseits stand bei der wissenschaftlichen Exploration der Welt, drang Bingham in das weitgehend unbekannte Hochland von Peru vor und entdeckte Machu Picchu. Seine Reisebeschreibung "Lost City of the Incas" wurde seinerzeit zum Bestseller. Exotische Völker im Dschungel, verborgene Schätze im Regenwald, vergessene Städte auf Berggipfeln, das sind gemeinhin Themen für Abenteuerromane. Bingham mag archäologisch eine Niete gewesen sein, schreiben konnte er dagegen hervorragend und das Buch verkaufte sich bestens.

Bingham selbst wurde zur einer Art Ikone und wenn Indiana Jones im vierten Teil in das Reich der Kristallschädel vordringt, schließt sich der Kreis in mancher Hinsicht. Bingham, dem man weder Skrupel noch Detailversessenheit nachsagen konnte, hätte das Abenteuer sicher gefallen.

Schöner Schein

Das Indiana Jones Outfit wurde vom Comic Zeichner Jim Steranko entworfen. Die Fliegerjacke ging auf einen Vorschlag von George Lucas zurück, der Fedora Hut ist eine Reminiszenz an Humphrey Bogart und den Film Noir, die Peitsche stammt von den alten Zorro-Filmen. Sam Browne Gürtel – ein typisches Untensil bei alten Uniformen –, Umhängetasche, Khaki-Hemd und Hose komplettierten das Outfit.

Einen nicht ganz unerheblichen Einfluss auf das Gesamtkunstwerk Indiana Jones hatte die Figur des Harry Steele (gespielt von Charlton Heston) aus dem Film "Secret of the Incas" und das lässt sich eigentlich auch kaum leugnen, wenn man sich Ausschnitte aus dem Film zum Beispiel auf YouTube anschaut.

Mit einem echten Archäologen hat die Arbeit von Indiana Jones freilich wenig zu tun. Wo der Fachmann sich mit Pinselchen an das Freilegen einer Scherbe macht, schwingt der Filmheld die Peitsche und auch bei der Dokumentation von Fundplätzen zeigt Dr. Jones aus gutem Grund immer wieder Defizite.

Er scheint es zur Regel zu erheben, dass Fundplätze hinterher in Schutt und Asche liegen. Mit der Realität hat das wenig zu tun, Hollywood verzeihen wir solche Feinheiten natürlich aber. An anderer Stelle zeigen die Filmemacher bemerkenswerte Liebe zum Detail.

Liebe zum Detail

Typisch dafür ist die Eingangsszene von "Jäger des verlorenen Schatzes". Da kämpft sich Indy in einem Urwaldtempel durch eine ganze Reihe tödlicher Fallen, um an ein seltenes Artefakt zu kommen. Mit gewohnter Eleganz schafft der Held es, das Stück an sich zu nehmen, den Giftpfeilen, Falltüren und am Ende einer gewaltigen Steinkugel zu entkommen und sich ins Freie zu retten. Soweit ist also alles wie üblich.

Bemerkenswert an der Szene – zumindest vom Standpunkt des Archäologen – ist das Stück selbst. Obwohl es nur kurz im Bild zu sehen ist, hat Spielberg offensichtlich einige Mühe aufgewandt. Das Artefakt gibt es tatsächlich und gilt als eines der bemerkenswertesten Stücke der Sammlung des Dumbarton Oaks Museum in Washington, D.C. Zwar ist das Original nicht aus Gold wie im Film, doch ist das nebensächlich.

Es handelt sich um eine Darstellung von Tlazolteotl, in der aztekischen Mythologie Göttin der Wollust und der verbotenen Liebe. Das Idol ist in der Tat bemerkenswert, in der Hauptsache aber Fachkreisen bekannt. Dass es sich – zumindest vermutlich – auch bei diesem Stück um eine Fälschung aus dem 19. Jahrhundert handelt, kann man Spielberg nicht anlasten. Das ist erst seit einigen Monaten bekannt.

In einem Aufsatz für das US-Fachblatt "Archaeology" (Archaeology article: Legend of the Crystal Skulls) berichtet Jane MacLaren Walsh, Anthropologin am Smithsonian's National Museum of Natural History, dass sie Bearbeitungsspuren gefunden hat, die auf eine Entstehung im 19. Jahrhundert deuten. Damit teilt dieses Idol das Schicksal der Kristallschädel aus Teil IV.

"Archäologen" unter sich

Gewisse Parallelen zwischen Bingham und Dr. Jones finden sich auch auf anderer Ebene, allerdings sind die eventuell unbeabsichtigt. So betont in einer Szene der Kurator des Museum an Indis hauptamtlicher Wirkungsstätte – dem Northeastern College – in einer Filmszene, man würde wie gewohnt keine Fragen zur sicher zweifelhaften Provenienz des Artefaktes stellen.

Leider ist diese Haltung amerikanischer Museum alles andere als eine Erfindung. Gerade lateinamerikanische Museen haben sich des öfteren über die amerikanischen Kollegen und deren laxen Umgang mit Stücken zweifelhafter Herkunft beschwert.

Das war anscheinend auch schon zu Zeiten Hiram Binghams so. Die insgesamt über 5000 Artefakte, die er zur "wissenschaftlichen Untersuchung" außer Landes schaffte, belasteten die Beziehung von peruanischer Regierung und Yale Peabody Museum für fast ein ganzes Jahrhundert. Zwar haben die Universität Yale und der peruanische Staat 2007 einen Vertrag über die Rückgabe unterzeichnet, ausgestanden ist der Disput damit aber noch nicht. Bingham hatte seinerzeit eine Ausleihdauer von zwölf Monaten ausgehandelt.

Erschwerend kam in diesem Fall wohl dazu, dass Bingham die Entdeckung der Bergfeste zwar für sich beanspruchte, das aber eigentlich nur die halbe Wahrheit ist. Eigentlich war er dem Ruf des Goldes gefolgt und dass er in Machu Picchu landete, verdankte er Unkenntnis, Glück und vor allem einem ortskundigen Führer. Letzteres mag bei archäologischen Entdeckungen nicht weiter ungewöhnlich sein, rückblickend war es für die Peruaner trotzdem ärgerlich.

Vilcabamba

Ursprünglich war Bingham auf der Suche nach Vilcabamba. Der Legende nach hatten sich die letzten Inka dorthin zurückgezogen und einen sagenhaften Schatz gehortet. Davon hatte auch Bingham gehört. So faszinierend er Land und Leute fand, war es am Ende wohl doch eher das Gold, was ihn an jener mythischen Stätte interessierte.

Das erste Mal war Bingham 1908 in Südamerika als Vertreter seines Landes beim ersten panamerikanischen Kongress in Chile. Im Anschluss an den Kongress bereiste er weite Teile des Kontinents. Er wandelte auf den Spuren von Simon Bolivar und folgte der alten kolonialen Handelsroute von Buenos Aires nach Lima. Bei dieser Gelegenheit hörte er wohl auch von der sagenhaften Inkastätte und ihren Schätzen. Der Glaube an Vilcabamba ist fest in den Köpfen der Andenbewohner verankert.

Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. 1911 kam Bingham zurück nach Peru. Offiziell wollte er die Geologie und Botanik des Landes studieren. Sehr viel weiter brachten in seine Studien nicht, aber er traf die richtigen Leute. Wo studieren nicht hilft, braucht es manchmal einfach Glück. Auf eine heiße Fährte brachte ihn ein Tipp des Rektors der Universität von Cusco (Albert Giesecke).

Über mehrere Ecken wurde er an einen armen Bauern verwiesen, der vorgab auf dem Gipfel des Machu Picchu Ruinen gesehen zu haben. Jener Melchor Arteaga wurde von Bingham sogleich als Führer angeheuert. Der Bauer brachte ihn zur Hütte von Anacleto Alvarez und Toribio Recharte an den Hängen des "Alten Berges". Von dort führte ihn ein Junge auf den Berggipfel. Auf diese Art "entdeckte" Hiram Bingham am 24. Juli 1911 die sagenumwobene letzte Festung der Inka.

Die wahre Bedeutung des Ortes erkannte er nie und – wenn wir seinen Tagebüchern glauben schenken dürfen – war er ursprünglich auch nicht sehr beeindruckt. Die spektakulären Beschreibungen und Superlative folgten erst später. Ganz im Gegensatz zu Indiana Jones galt Bingham als humorlos und ausgesprochen ehrgeizig. Ursprünglich dürfte seine große Entdeckung eher eine Enttäuschung gewesen sein. 1924 wurde er Gouverneur von Connecticut – für ein paar Tage – und zog wenig später in den amerikanischen Senat ein. Peru hatte er zuvor noch einige Besuche abgestattet und bei der Gelegenheit auch einige Stücke ausgeliehen. Der Rest ist bekannt.

 

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