.. Startseite ..
Streit um Amerikas Frühgeschichte
Die gängige und bisher gültige sogenannte Clovis-Theorie besagt, dass die ersten Menschen vor rund 13.000 Jahren über eine Landbrücke von Russland aus nach Amerika kamen und den gesamten Doppelkontinent besiedelten. In den meisten archäologischen Grabungen untersuchten Wissenschaftler tiefergelegene und somit älteren Erdschichten gar nicht erst.
Australier in Amerika?
Die Studie aus Brasilien verglich 81 fossile Schädel aus der Lagoa-Santa-Region in Zentralbrasilien mit etwa gleich alten Schädeln aus anderen Teilen der Welt. Die Datierung ergab ein Alter von 7.500 bis 11.000 Jahren, in diesem Bereich sah man sich also um.
Die Schädel glichen eindeutig eher den Beispielen aus Australien, Melanesien und den afrikanischen Gebieten südlich der Sahara. Die so genannte Paläoamerikanische Morphologie zeichnet sich aus breite Nasen, weite Augenhöhlen und einen etwas vorstehenden Unterkiefer.
Der nordamerikanische Typus gleicht dagegen eher Beispielen aus Nordasien, die Studie legt nahe, dass es mindestens zwei Einwanderungswellen gab. Bei der ersten im Pleistozän sollen vor über 10.000 Jahren ostasiatische Stämme über die Behringstraße gelangt sein, von ihnen stammen die Südamerikaner ab.
Später gab es eine zweite Welle von Einwanderern. Dabei handelte es sich um sibirische Stämme, sie sind die Vorfahren der nordamerikanischen Ureinwohner. Das widerspricht in einer eigentlich sogar zwei zentralen Stelle der Clovis-Theorie.
Eine Frage der Ehre
Die Clovis-Theorie benannt nach einer kleinen Ortschaft im US-Bundesstaat New Mexico. Schon um 1930 wurden hier Speerspitzen und fossile Knochen von erjagten Tieren gefunden, die Datierung ergab ein Alter von 12975, maximal 13325 Jahren.
Für jeden aufrechten Amerikaner ist es Ehrensache, dass Clovis die erste und älteste Kultur auf amerikanischen Boden war. Nestbeschmutzer und gerade aus den eigenen Reihen riskieren ihre akademische Zukunft, wenn sie es wagen Belege gegen diese Theorie zu publizieren.
Präsident der Society for American Archaeology nennt die Debatte denn auch leidenschaftlich, das allerdings ist ein gar nicht so kleiner Euphemismus. So tobt schon seit 1977 ein Gelehrtenkrieg um die Ausgrabung von Monte Verde im südlichen Chile. Deren Alter wurde immerhin auf 14500 Jahre geschätzt, ist also deutlich älter.
Da passt die Untersuchung der Brasilianer eigentlich sehr gut, die ihre Studienobjekte im Zeitraum von vor etwa 13 bis 14.000 Jahren ansiedelt. Betrachtet man die bisherige Auseinandersetzung, dürfte den "Clovianern" allerdings selbst das zu alt sein. Wenn die Datierung von Monte Verde sich als korrekt herausstellt, könnte einer auf die Idee kommen, dass Amerika nicht nur in zwei Wellen, sondern auch von zwei Seiten besiedelt wurde.
Erste Amerikaner schon vor 50.000 Jahren?
Eine solche Annahme würde sich zum Beispiel decken mit den Ergebnissen der Linguisten. Die bezweifeln schon länger, dass sich die Vielfalt der amerikanischen Sprachen in so kurzer Zeit entwickelt haben kann. Sie gehen sogar von 20.000 Jahren aus.
Aber auch aus dem US-amerikanischen Mutterland kommen Berichte, die so gar nicht in das Bild der Clovianer passen. In Cactus Hill an der amerikanischen Ostküste fanden sich Siedlungsspuren, die etwa 18.000 Jahre alt sein sollen.
Sollte sich eine Meldung aus dem November 2004 bestätigen, war das erst der Anfang. Im US-Bundesstaat South Carolina fanden Forscher Steinwerkzeuge, die - zumindest laut ihrer Datierung - etwa 50.000 Jahre alt ist. Die Radiokarbondatierung orientiert sich an Überreste einer Feuerstelle, die in derselben Schicht gefunden wurde.
In Anbetracht solcher Zahlen fanden sich allerdings nicht nur Clovianer, die mit der Stirn runzelten. Selbst wenn die Datierung korrekt ist, dass es sich bei den Funden tatsächlich um Werkzeuge handelt, ist nicht unumstritten. Auch die Feuerstelle selbst wurde bezweifelt. Bei der gefundenen Kohle könnte es sich durchaus um eine geologische Ablagerung handeln. Clovis mag nicht der Weisheit letzter Schluss sein, soweit möchte man dann aber doch nicht gehen.
Nur wenige Vorfahren
Nachdenklich stimmt die Studie eines amerikanischen Biologen, die nahe legt, dass den Grundstein für die Besiedlung Amerikas nur etwa 70 Individuen legten. Eine derart geringe Zahl kommt sicherlich überraschend, vor allem wenn wie jetzt postuliert es sogar zwei Einwanderungswellen gab.
Jody Hey untersuchte bei seiner Studie über die genetische Geschichte der Neuen Welt neun typische Gene, die in der wissenschaftlichen Literatur gut dokumentiert sind. Für die Analyse wurden Sequenzen heute lebender Asiaten und Indianer herangezogen.
Mit den Ergebnissen lassen sich sowohl zeitlicher Ablauf als auch die ursprüngliche Populationsgröße abschätzen. Ob die sehr geringe Anzahl nun für oder gegen die frühe Besiedlung des Doppelkontinents spricht, ist offen. Sie sagt nur etwas über den Ursprung der heute noch lebenden Nachfahren aus.
Nach derzeitigem Erkenntnisstand hat sich der moderne Mensch vor etwa 80.000 bis 60.000 Jahren in Afrika entwickelt, vor rund 50.000 Jahren taucht er in Zentralasien auf, vor etwa 40.000 Jahren auch in Europa. In mancher Hinsicht sprechen diese Zahlen gegen eine extrem frühe Besiedlung Amerikas, wie sie die Datierung der Feuerstelle in South Carolina nahe legen würde.
Auf der anderen Seite ist der alte Streit, ob tatsächlich alle heutigen Menschen Nachkommen der Gruppe sind, die sich vor 50 bis 60.000 Jahren von Afrika aus aufmachte, die Welt zu erobern, längst nicht abgeschlossen. Eigentlich ist sowieso also noch alles offen.
NAVIGATION