Der Aufstieg der Freibeuter

Sie waren die Schrecken der Meere und doch keine Gesetzlosen - zumindest nicht am Anfang. Piraten gab es zwar schon immer, doch mit den Kaperkapitänen begann die Geschichte der modernen Piraterie.

Die Geschichte der Piraterie im Atlantik ist gezeichnet von Plünderung, Blut und Gewalt. Männer wurden schon zu Lebzeiten zu Helden, wurden unsterblich in zahllosen Geschichten über Ihre verwegenen Abenteuer. "Ein kurzes aber fröhliches Leben" und "Mit Arbeit ist noch keiner glücklich geworden", so umschrieb einer der bekanntesten Piraten aller Zeiten sein Motto. Wer waren diese Gesetzlosen der Meere?


Mit der Entdeckung der Neuen Welt erschlossen sich den europäischen Mächten ungeahnte Reichtümer. Vor allem die Spanier plünderten die Reichtümer der mittel- und südamerikanischen Hochkulturen systematisch. Unmengen an Gold und Silber schifften sie mit ihren gewaltigen Galeonen in das Mutterland, bescherten dem Herrscherhaus fast unbegrenzte finanzielle Mittel.

Die anderen europäischen Nationen blickte voller Neid auf diese scheinbar nie versiegende des Reichtums, doch was tun? Einen Krieg wollte man deswegen nicht provozieren, aber da gab es ja noch andere Mittel. Die Lösung ihres Dilemmas war tatsächlich verblüffend einfach. Man heuerte Abenteurer an, die an ihrer Stelle die spanischen Schatzschiffe angriffen. Von jeder Prise bekam das Königshaus einen Anteil und so ohne großen Aufwand ein Stück von dem Kuchen.

Diese Abenteurer wurden als Kaperer bekannt. Sie waren nichts anderes als staatlich lizenzierte Piraten und sie bildeten in mancher Hinsicht den Auftakt zu einer langen Erfolgsgeschichte. Bis ins 18. Jahrhundert hinein, dominierten Piraten die Weltmeere und wurden zeitweise zu einer echten Bedrohung des Welthandels. Erst nachdem die großen europäischen Nationen ihre Zwistigkeiten beigelegt hatten und sich gezielt der Jagd auf die Gesetzlosen widmen konnten, bekamen sie das Problem einigermaßen in den Griff.

Ganz so romantisch, wie es uns die zahllosen Abenteuerromane und zahlreichen Piratenfilme weismachen wollen, war das Leben als Pirat nicht. Für viele dieser Zeitgenossen war ein kurzes Leben in Freiheit allerdings besser als ein langes in Knechtschaft. Entsprechend wenig Nachwuchssorgen hatten die Freibeuterkapitäne. Es fanden sich immer genug Freiwillige, die sich auf das Abenteuer einlassen wollten. Das Leben unter der schwarzen Flagge war hart aber gerecht. Zeitweise gab es sogar eine Krankenversicherung für Piraten. Doch fangen wir von vorn an.

Im Auftrag Ihrer Majestät

Den wohl bekanntesten und brutalsten aller Kaperer nannten die Spanier El Draque - den Drachen. Es handelt sich um niemand anders als den englischen Seehelden Sir Francis Drake. Er war ein stolzer, ein eitler und ehrgeiziger Mann. Er stammte ursprünglich aus eher einfachen Verhältnissen, war der Spross einer protestantischen Bauernfamilie und er hatte große Pläne für sich. Mit aller Macht wollte er es nach oben schaffen, in die feinen Kreise der Gesellschaft. Der Weg dahin war lang.

Er kam schon sehr früh zur Seefahrt, übernahm sein erstes Kommando im zarten Alter von etwa 20 Jahren. Im Dienste seines Vetter unternahm er die erste Reise nach Amerika auf einem Sklavenschiff. Drake war ein religiöser Eiferer und er hasste den Papst und die katholische Kirche. Einst war seine Familie bei einem katholischen Aufstand von ihrem Land vertrieben worden und musste fliehen. Dieses Ereignis scheint ihn nachhaltig geprägt zu haben.

Drake war ein leidenschaftlicher Gegner des katholischen Spaniens und hatte schon früh den Plan, die spanische Vorherrschaft in der Neuen Welt herauszufordern. Schon im Jahre 1573 feierte er seinen ersten großen Erfolg. Drake gelang es, den spanischen Silberzug in der Nähe der Stadt Nombre de Dios zu plündern. Obwohl er riesige Mengen Silber zurück lassen musste, brachte er gewaltige Reichtümer nach England.

Seine Pläne jedoch reichten viel weiter, waren gewagt. Queen Elisabeth I. zögerte fast zwei Jahre, bis sie ihm eine Audienz gewährte. Was er ihr vorschlug, war brillant, einzigartig und größer als alles, was jemals von einem Freibeuter unternommen wurde. Allerdings barg der Plan das Risiko eines Krieges mit Spanien in sich und auf so etwas wollte sie sich nicht leichtfertig einlassen. Auf der anderen Seite würde Elisabeth bei einem Erfolg der Mission eine sehr, sehr reiche Königin werden. Schließlich stimmte sie zu.

Die Ferse des Achill

Drake wusste, wo die Goldländer der Spanier lagen und hatte sich überlegt, die Spanier ganz einfach im Rücken anzugreifen. Die großen Schätze waren an der pazifische Westküste des amerikanischen Kontinents zu finden und praktisch unbewacht. Niemand erwartete einen Angriff, die Westküste war ganz sprichwörtlich die Achillesferse der Spanier.

Gelänge es Drake, mit einem starken Schiffsverband Südamerika zu umsegeln und die Spanier dort, im Herzen ihres Goldlandes anzugreifen, wären sie ihm praktisch schutzlos ausgeliefert. Es gelang ihm, die Königin zu überzeugen. Am 13.12.1577 stach er mit fünf Schiffen in See.

Mit dabei hatte Drake eine Order der Königin, darauf hatte er bestanden. Was genau in dieser Order stand, ist einigermaßen unklar, manche bezweifeln sogar, dass es sie gab. Wenn er einen Kaperbrief der Königin hatte, war dessen Formulierung wohl alles andere als eindeutig. Es steht zu vermuten, dass sich die Königin ein kleines Hintertürchen offen gelassen hatte, sollte Drake oder das Schriftstück in die Hände der Spanier fallen. Drake war es wohl Recht.

Sein Flaggschiff war die Golden Hind, ein kleines aber extrem wendiges und schnelles Schiff, zudem bis an die Zähne bewaffnet. Auf dem Schiff drängelten sich 184 Mann Besatzung. Sein erstes Ziel war eine der gefährlichsten Wasserstraßen der Welt: die Magellanstraße. Noch heute segeln die meisten Segler lieber den Weg um Kap Horn.

Drake war ein genialer Seemann, seine Leistung muss allergrößten Respekt einflößen, trotzdem musste er schon an der Küste Südamerikas zwei seiner Begleitschiffe aufgeben. Ein weiteres verlor er bei seinem Versuch, den Pazifik zu erreichen, auch das vierte Schiff musste umkehren. Drake war auf sich allein gestellt, doch er hatte die Westküste erreicht.

Der Drache schlägt zu

Mit der Golden Hind segelte er nach Norden, entlang der amerikanischen Westküste. Auf dem Weg plünderte Drake praktisch die gesamte pazifische Westküste des Kontinents. Er griff Siedlungen an und enterte zahlreiche Galeonen. Die Spanier waren konsterniert.

Während seines Raubzuges kam ihm zu Ohren, dass der größte Schatz praktisch vor seiner Nase wartete: die Nuestra Señora de la Conceptión. Sie war ein gewaltiges Schatzschiff, voll beladen mit Schätzen und gespickt mit Kanonen. Sie war berühmt oder besser berüchtigt wegen ihrer Kampfkraft, trug den Spitznamen Cacafuego - Feuerspucker.

Drake wollte das Schiff überraschen und er wendete ein paar hinterlistige Tricks an, um das gut doppelt so große Schiff zu kapern. Er warf ein paar mit Wasser gefüllte Weinfässer ab, die seine Manövrierfähigkeit erheblich einschränkten. Die Fässer bremsten das Schiff und so machte es - trotz voller Segel - kaum Fahrt. Einem ahnungslosen Beobachter musste es erscheinen, als sei die Golden Hind ein Handelsschiff in Not.

Die Cacafuego drehte bei und fragte, wer man sei und ob sie helfen könne. In dem Moment forderte Drake den Kapitän auf, sich zu ergeben. Als dieser ihn leicht verwundert fragte wieso, feuerte die Golden Hind eine volle Breitseite. Der Kampf begann und noch bevor die Spanier ihre Männer auch nur bewaffnen konnten, stürmten Drakes Männer das Schiff. Nach einem kurzen aber heftigen Gefecht kapitulierten die Spanier.

Die Ladung der Cacafuego war ein gewaltiger Schatz. Die Ladung bestand aus einer beachtlichen Menge Gold, 1300 Silberbarren, 14 Kisten Münzen und wertvoller Handelsware aus dem Besitz mehrerer Handelsleute. Die Beute war eine unvorstellbare Menge Geld wert. Am Ende konnte Drake seinen Investoren 4700 Prozent Gewinn auszahlen.

Der Anteil der Königin entsprach den Regierungsausgaben eines ganzen Jahres und wir dürfen davon ausgehen, dass das nicht wenig war. Auch für Drake und seine Mannschaft blieb noch genug übrig, von dem enormen Imagegewinn einmal ganz abgesehen.

Sir Francis der Seeheld

Auf seinem Rückweg aus dem Goldland der Spanier versuchte Drake eine Nordwest-Passage in den Atlantik zu finden. Das misslang, allerdings nahm er das heutige Kalifornien für England in Besitz und umsegelte bei der Gelegenheit die Welt.

Für seine Leistungen wurde er 1781 in den Adelsstand erhoben. Die Legende von Sir Francis Drake - El Draque - war geboren. Zur Ruhe setze er sich noch lange nicht. So war er 1588 als Vizeadmiral unter Lord Howard von Effingham am siegreichen Kampf gegen die Spanische Armada beteiligt. Damit war der Grundstein für England als aufstrebende Seemacht gelegt. Sein Verdienst daran muss als entscheidend gelten.

Der Erfolg Drakes inspirierte zahllose Nachahmer. Kaperer wurde geradezu eine Modeberuf. Die Sponsoren dieser Expeditionen waren in der überwiegenden Mehrheit wohlhabende Kaufleute, auch zahlreiche Adlige versuchten sich in dem Geschäft. Piraterie - und um nichts anderes handelte es sich bei den Kaperexpeditionen - wurde zu einem Geschäftszweig. In einem einzigen Jahr wurden an die 1000 Kaperschiffe ausgerüstet.

Viele unterschätzten die Tatsache, dass wenn man Erfolg haben wollte, man auch über das entsprechende seemännische Geschick verfügen musste. Entsprechend endete die Mehrzahl der Expeditionen im Desaster. Dem Mythos vom schnellen Geld und der Freiheit an Deck eines Piratenschiffes tat das keinen Abbruch und wenn nicht mit dem Segen der Königin dann eben ohne ihn.


Lesen Sie auch die Fortsetzung: Piraten der Karibik

 

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