Der Aufstieg der Freibeuter

Sie waren die Geißel der Weltmeere und erst recht nachdem sie ihre Lizenz zum Plündern verloren hatten. Piraterie erlebte ein wahrhaft goldenes Zeitalter.

Lange Zeit standen die Piraten der Karibik mehr oder weniger im Dienst der englischen Krone. Das änderte sich erst in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Die Piraten verloren die Lizenz zum Plündern, wurden zu Gesetzlosen. Das hinderte sie in keinster Weise, eigentlich erreichte man sogar das Gegenteil. Für die Freibeuter brach eine Art goldenes Zeitalter an. Sie operierten beinahe weltweit, wurden zu einer echten Bedrohung für den Welthandel.

Im Jahre 1692 hatte ein gewaltiges Erdbeben Port Royal ins Meer gerissen, die Piraten hatten ihren wichtigsten Stützpunkt verloren. Das allein wäre schon schlimm gewesen, allerdings lagen sie nun auch noch mit den Engländern über Kreuz. Es gab keine "sicheren Häfen" mehr in der Karibik. Eine Alternative musste dringend gefunden und sie war überraschend einfach. Man weitete seine Aktivitäten aus und handelte einen individuellen Deal zum Beispiel mit einem der Gouverneure in der Neuen Welt aus. Statt also an einer Stelle konzentriert, waren Piraten plötzlich überall.

Sie beschränkten sich nicht länger auf die Karibik, sondern richteten ihr Augenmerk mehr und mehr auch auf die Handelsrouten zwischen Europa und dem Osten. Hier gab es Elfenbein, Juwelen, Seide und Gewürze zu holen, unermessliche Reichtümer die sich ihnen wie auf dem Präsentierteller darboten. Die Europäer waren nach wie vor damit beschäftigt, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, so konnten die Piraten fast ungestört operieren.

In dieser Situation trat ein alter Seebär an die Queen heran und offerierte seine Dienste. William Kidd, in jüngeren Jahren selbst ein gestandener Freibeuter, erbot sich, als Piratenjäger in den Dienst der Krone zu treten. Die Sache hörte sich vernünftig an und so bekam er den Auftrag.

Bis heute ist unklar, ob er zumindest anfänglich diesem Auftrag auch nachkommen wollte, allerdings stellte sich schnell heraus, dass die englische Regierung mit ihm ganz sprichwörtlich den Bock zum Gärtner gemacht hatte. Kidd rekrutierte auf seinem Schiff fast ausschließlich ehemalige Piraten und er schlug ihnen einen bemerkenswerten Deal vor. Sie würden keine Heuer erhalten, dafür aber einen Anteil an jedem gekaperten Schiff. In der Praxis hieß das, wenn sie keine Beute machten, gingen die Männer leer aus. Wohin das führte, war eigentlich wohl von Anfang an klar.

Der Piratenjäger und sein Schatz

Im Jahre 1696 waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Kapitän Kidd und seine Crew setzten die Segel und machten sich auf dem Weg nach Ostindien. Es war ein langer Weg und nach drei Monaten auf See ohne ein Erfolgserlebnis, begann die Mannschaft zu murren. William Kidd war nicht die Sorte Kapitän, die Widerspruch duldete. Als ein Mann sich beschwerte, streckte er ihn mit einem Hieb nieder. Der Mann starb kurz darauf.

Allerdings konnte auch Kidd die Zeichen nicht ignorieren. Er brauchte ein Erfolgserlebnis, um seine Männer bei der Stange zu halten. Da tauchte am Horizont ein unbewaffnetes Handelsschiff unter französischer Flagge auf. Da Britannien und Frankreich offiziell im Krieg lagen, war es in gewisser Hinsicht eine legal Prise. Kidd zögerte nicht lange, das Schiff wurde aufgebracht.

Was er nicht bedacht hatte war, war der Unmut der indischen Kaufleute über den Verlust. Sie forderten den Kopf des Diebes und drohten den Engländern, die Handelsbeziehungen ansonsten abzubrechen. Die Drohung wirkte, die Briten unterzeichneten Kidds Todesurteil. Aus dem Jäger wurde ein Gejagter.

Als er hörte, dass er zum meistgesuchten Piraten der Weltmeere geworden war, begann Kidd seine Schätze zu vergraben. Die Legende vom Schatz des Kapitän Kidd war geboren und sie inspirierte zahllose Geschichten über vergrabene Piratenschätze. Am bekanntesten ist sicherlich Robert Louis Stevenson's Schatzinsel, die in mancher Hinsicht von William Kidds Abenteuern inspiriert scheint.

Es ist nicht ganz klar, wie viele Schätze er im Laufe der nächsten Jahre vergrub, nur ein einziger wurde jemals gefunden. Er selbst konnte sich nicht mehr daran erfreuen. Nach seiner Verhaftung wurde ihm in London der Prozess wegen Piraterie gemacht, er wurde aller Anklagen für schuldig befunden und am 23. Mai 1701 in London gehängt. An die 200.000 Menschen kamen, um den berüchtigsten Piraten seiner Zeit hängen zu sehen.

Das Pech blieb ihm auch in seiner letzten Stunde treu. Zwei Mal riss der Strick, erst beim dritten Mal konnte er gehängt werden. Wie es heißt, war er so betrunken, dass er nur noch wirres Zeug redete. Sein Körper geteert und in Ketten gelegt. Für vier Jahre hing seine Leiche in einem Eisenkäfig über der Themse als Warnung für künftige Piraten.

Die Piratenrepublik

Im 18. Jahrhundert konnte man schon für wesentlich weniger hingerichtet werden als Piraterie. Für viele junge Männer war das Piratendasein eine erstrebenswerte Alternative. Es war sicher besser, als an Bord eines britischen Kriegsschiffes gepresst zu werden, wie es in jenen Tagen durchaus üblich war.

Das Leben auf einem solchen Schiff, war der reine Albtraum. Die disziplinarischen Maßnahmen an Bord waren grausam und Deserteuren drohte der Strick. Wenn schon dann richtig scheinen sich viele gedacht zu haben und schlossen sich den Piraten an.

Das Gleichheitsprinzip war das Fundament der Piratengesellschaft und jeder wurde unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder sozialem Hintergrund gleich behandelt. Das Deck eines Piratenschiffs war der vermutlich einzige Platz in der westlichen Welt, wo ein Schwarzer frei und gleichberechtigt leben konnte und sogar die Aussicht hatte, Karriere zu machen.

Auf New Providence (Bahamas) war 1722 eine Piratenrepublik ausgerufen worden. Sie trat in gewisser Hinsicht das Erbe von Port Royal an, wurde von Piraten regiert. Hier tummelten sich einige der übelsten Verbrecher aller Zeiten. Viele wurde bekannt durch den bis heute geheimnisumwitterten Captain Charles Johnson, der als erster die Geschichte der Piraten aufschrieb ("A general history of the robberies and murders of the most notorious Pirates", erstmals erschienen 1724).

In Begleitung ihres Liebhabers Calico Jack Rackham verschlug es auch die junge Ann Bonny nach New Providence. Sie war eine ausgesprochen illustre Gestalt, Zeitgenossen nannten sie eine Ausgeburt der Hölle. Sie war die uneheliche Tochter eines Juristen und einer Dienstmagd. Offenbar recht temperamentvoll, war sie schließlich davon gelaufen und hatte sich den Piraten angeschlossen. Sie soll eine hervorragende Fechterin gewesen sein und auch schon mal einen Mann krankenhausreif geschlagen haben, der sie belästigte.

Zusammen mit Mary Read bildete sie ein wahres Duo Infernale. Sie wurden zu einem der berüchtigsten Piratenpärchen ihrer Tage und standen ihren männlichen Berufskollegen in nichts nach. Eher anders herum. Als ihr Schiff schließlich aufgebracht wurde, waren es die beiden Frauen, die wie Furien kämpften, während die Männer sich der Übermacht ergaben. Dem Strick entkamen die Beiden, indem sie behaupteten schwanger zu sein.

Ihrem Liebhaber soll sie in seiner letzten Stunde zugeflüstert haben: "Es tut mir leid dich hier zu sehen, Jack, aber wenn du wie ein Mann gekämpft hättest, müsstest du jetzt nicht wie ein Hund hängen." Mary Read starb im Gefängnis, Ann Bonny entkam. Ihr weiteres Schicksal verliert sich im Dunkel der Geschichte.

Blackbeard

Blackbeard war der Spitzname des vielleicht bekanntesten Piraten aller Zeiten – Edward Teach. Den Namen erhielt er wegen seines dichten schwarzen Bartes, in den er während des Gefechts brennenden Lunten hing. Dazu hatte er ein ganzes Arsenal von Messern und Pistolen im Gürtel, der Auftritt war martialisch und das war ganz offenbar seine Absicht. Er wurde zu einer Art Prototyp für einen Piraten, allerdings war er in mancher Hinsicht viel eher ein begnadeter Schauspieler als Freibeuter.

Durch seinen Auftritt erzeugte er vor allem eines: Angst. Er sah tatsächlich aus wie ein Pirat, eine Kreatur des Teufels und sein Ruf tat ein Übriges. Piraten waren nicht besonders erpicht darauf zu kämpfen. Eine ihrer wichtigsten Waffen war die Abschreckung. Nur wenn ein Handelsschiff sich widersetzte, griffen sie zur Gewalt. Im Prinzip konnte man also ein erfolgreicher Pirat sein, ohne jemals einen Menschen zu töten. Blackbeard scheint diese Vorgehensweise regelrecht kultiviert zu haben. Es ist also nicht völlig klar, ob Blackbeard tatsächlich ein so gemeingefährlicher Psychopath war, wie sein Ruf uns Glauben machen will.

Vieles an ihm war inszeniert, allerdings bei weitem nicht alles. Exzessiv ist eines der Worte, das sehr häufig im Zusammenhang mit seiner Person fällt. Statt einer trug er sechs Pistolen, statt einer oder zwei hatte er 14 Frauen und natürlich hatte er das größte Schiff, dass jemals ein Pirat gesteuert hatte – die Fregatte Queen Anne's Revenge mit 40 Kanonen und 300 Mann Besatzung. Zudem war er schwer drogensüchtig und alkoholabhängig.

Eine seine bekanntesten und wohl auch typischsten Aktionen war die Blockade des Hafen von Charleston in South Carolina. Blackbeard drohte die Stadt bis auf die Grundmauern niederzubrennen, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden. Er wollte eine bestimmte "Medizin". Dabei handelte sich um Laudanum – ein Schmerzmittel und Blackbeard's bevorzugte Droge. Nach vier Tagen Belagerung bekam er es schließlich, der Wert der Beute: 600 Dollar. Für diese lächerlich Summe hatte er vier Tage den gesamten Schiffsverkehr blockiert.

Nach dieser Aktion riss dem Gouverneur von Virginia der Geduldsfaden. Er schickte zwei Kriegsschiffe unter dem Kommando von Lieutenant Robert Maynard aus, um Blackbeard zu fangen oder zu töten. Der hörte es und beschloss, sich erst einmal aus der Schusslinie zurück zu ziehen. Er ließ die Queen Anne's Revenge auf Grund laufen und zog sich mit nur wenigen Männern auf die Insel Ocracoke in North Carolina zurück. Es war eines von Blackbeards Lieblingsverstecken. Gegen einen Anteil von der Beute hatte der dortige Gouverneur ihm immer inoffiziellen Schutz gewährt.

Maynard ließ nicht locker und verfolgte Blackbeard bis nach Ocracoke. Dem blieb die Ankunft der beiden Schiffe nicht verborgen und das trotz eines heftigen Gelages. Ungeduldig wartete der Piratenkapitän auf das erste Tageslicht. Er wollte seine Gegner sehen und die feindlichen Schiffe in den tückischen Gewässern dann einfach auf Grund laufen lassen. Niemand kannte die Fahrrinnen so gut wie er. Das klappte zunächst auch ganz hervorragend. Das erste Schiff war schnell ausgeschaltet, doch was nun folgte, fällt einem nachträglich wirklich schwer zu glauben. Während Blackbeard's Mannen das erste Schiff in aller Seelenruhe in Stücke schossen, versteckte sich die Mannschaft des anderen Schiffes unter Deck. Die Schaluppe wirkte wie ausgestorben.

In seinem Delirium schluckte Blackbeard den Köder und statt es zu versenken, enterte er das Schiff. Offenbar stockbetrunken stand er also an Deck des feindlichen Schiffes, als die Männer plötzlich aus ihren Verstecken stürmten und die Piraten ohne langes Federlesen niedermetzelten. Blackbeard und seine Männer hatten keine Chance. Seine Leiche soll 25 Wunden aufgewiesen haben. Er wurde enthauptet und sein Kopf an den Bug von Maynards Schiff gehängt. Dort blieb er, bis die Piratenjäger wieder in Virginia eintrafen.

Bartholomew Roberts

Black Bart Roberts war der Letzte der großen Piraten. Er war zugleich der blutrünstigste und wohl gefährlichste Pirat aller Zeiten. Seinen Spitzname "Der Schwarze Bartholomew" hatte er sich mit geschätzten 400 Schiffen, die er gekapert haben soll, wohl redlich verdient. Dabei war er ein frommer Christ und rührte keinen Alkohol an.

Roberts galt als unbarmherzig und ausgesprochen grausam. Einmal soll er einen Matrosen an einen Mast genagelt haben, nur um ein Exempel zu statuieren. Allerdings war ein ausgezeichneter Navigator, sehr diszipliniert und unverfroren. Daher rührt wohl seine erstaunliche Erfolgsquote.

Bei einer Gelegenheit stieß er in eine von zwei Kriegsschiffen eskortierte Flotte von 42 Handelsschiffen, enterte das am schwersten beladene und machte sich davon. Im Juni 1720 fuhr er in den Hafen von Trepassey ein, plünderte in aller Ruhe 22 dort vor Anker liegende Handelsschiffe, stahl eine englische Galeere und machte sich mit ihr als neuem Flaggschiff davon.

Zwischen 1720 und 1721 brachten Bart Roberts und seine kleine Flottille von Schiffen die Handelsschifffahrt in der Karibik fast gänzlich zum Erliegen. Anschließend segelte er über den Atlantik und begann systematisch, die westafrikanische Küste zu plündern. Dabei versenkte er unter anderem ein Schiff mit 80 Sklaven an Bord. Zuvor hatte er es geplündert und alles Wertvolle mitgehen lassen. An die bedauernswerten Menschen, angekettet im Rumpf des Schiffes verschwendete er keinen Gedanken. Roberts war sicher kein zart besaiteter Mensch.

Schließlich stellte ihn die englische Marine am Kap Lopez vor Guinea. Roberts in seinem scheinbar grenzenlosen Gott- und Selbstvertrauen hatte keine Angst. Seine Besatzung sah die Angelegenheit etwas realistischer und startete ein hemmungsloses Gelage. Wenn sie schon sterben mussten, wollten sie wenigstens anständig und feinster Piratenmanier abtreten; sprich gottesblau.

Trotz eines schweren Sturms nahmen sie das Gefecht mit dem überlegenen Gegner an. Schon die erste Breitseite der Engländer richtete verheerenden Schaden an und auch Bart Roberts erwischte es. Ganz wie er es gewollt hatte, wurde sein Leichnam über Bord geworfen, nicht einmal tot sollten sie ihn bekommen. Seine Mannschaft ergab sich darauf den Engländern und wurde später hingerichtet. Mit seinem Tod endete auch das "Goldene Zeitalter der Piraten". Danach sammelte die Marine nur noch die kümmerlichen Reste ein.

Piraten gab es beinahe so lange, wie es Schifffahrt gab und es gibt sie bis heute. Die große Ära der Piraten, die Zeit als sie die Weltmeere beherrschten, endete jedoch an jenem 10. Februar 1722, als HMS Swallow unter Kapitän Chaloner Ogle Black Bart Roberts buchstäblich hinwegfegte. Besonders ihm, dem notorischsten aller Piraten, wird niemand eine Träne nachgeweint haben. So schön die Idee von einem Leben in Freiheit und Gleichheit klang, sie war erkauft mit dem Blut unzähliger, unschuldiger Opfer. Piraten waren ein Übel, dass es verdiente, mit Stumpf und Stiel ausgerottet zu werden.


Lesen Sie auch den ersten Teil: Der Aufstieg der Freibeuter und die Fortsetzung: Piraten der Karibik

 

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